Grund zur Freude, Grund zur Sorge: 25 Jahre Schwangerschafts- und Schwangerschaftskonfliktberatung in Sachsen - wie geht es weiter?
Liga fordert: 20prozentiger Eigenmittelanteil der freien Träger muss signifikant sinken
Seit 25 Jahren lösen die 56 Schwangerschafts- und Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen verlässlich, flächendeckend und wohnortnah das gesetzlich garantierte Recht jeder Frau und jedes Mannes ein, sich in allen Fragen, die das Thema Schwangerschaft berühren, beraten zu lassen. Anlass genug, Bilanz zu ziehen.
Ob Fragen zu Sozialleistungen vor und nach der Geburt, Gestaltung und Finanzierung der Elternzeit, arbeitsrechtliche Fragen, Probleme in der Partnerbeziehung, Beratung nach Fehl- und Totgeburt, Beratung zu Pränataldiagnostik und Schwangerschaftsabbruch - das Themenspektrum ist vielfältig. „Schwangerschaftsberatungsstellen sind daher auch Seismographen unserer Gesellschaft: Die Themen und Fragen, die dort auftauchen beleuchten gleichermaßen den gesellschaftlichen Wandel“, sagte OKR Christian Schönfeld, Liga-Vorsitzender und Chef der Diakonie Sachsen im Rahmen der heutigen Liga-Pressekonferenz. So seien manche Themen in den vergangenen 25 Jahren ganz neu hinzugekommen, wie beispielsweise die vertrauliche Geburt oder Pränataldiagnostik. Andere dafür nähmen immer breiteren Raum ein - wie beispielsweise Fragen zur Existenzsicherung. „Hier gibt es viele Ängste, dass das vorhandene Einkommen durch die Geburt eines Kindes nicht mehr ausreicht. Das ist eine Entwicklung, die uns als Gesellschaft nicht gleichgültig sein kann.“
Eine Grunderfahrung von werdenden Eltern, die viel Stress verursache, sei das als undurchschaubares Dickicht erlebte Sozialleistungssystem: „Kindergeld, Elterngeld, inzwischen unterschieden in Basiselterngeld und Elterngeld Plus (im Anschluss), Landeserziehungsgeld, wenn das nicht ausreicht Kinderzuschlag und Wohngeld, bei Alleinerziehenden Unterhaltsvorschuss - wenn alles nicht reicht Arbeitslosengeld II. Manches vorrangig, nachrangig, gleichzeitig! Hier stellt sich doch die Frage, ob sich eigentlich keine familienpolitische Leistung entwickeln läßt, die einfach durchschaubar, mit einem Antrag erledigt und von der Höhe ausreichend ist, um sich ggf. für eine Schwangerschaft entscheiden zu können?“, fragt Katharina Freitag von der AWO-Beratungsstelle „Neues Leben“ in Dresden.
Auch eine andere Erfahrung bereite den Beraterinnen Sorge: „Bei der Entscheidungsfindung für oder gegen das Kind ist für die werdenden Eltern ist oft das erste und wichtigste Kriterium: Wieviel Elternzeit kann ich mir leisten? Wie lange bekomme ich Elterngeld?“, sagt Sabine Richter vom Deutschen Roten Kreuz. Seit im Jahr 2007 Elterngeld für ein Jahr als Lohnersatzleistung eingeführt wurde, sei es normal geworden, auch nur ein Jahr Elternzeit zu beantragen. In den Jahren davor, als es zwei Jahre ein Bundeserziehungsgeld in pauschaler Höhe von 300 € monatlich gegeben habe, habe die Mehrheit der Frauen zwei Jahre und mehr Elternzeit genommen - ein Jahr sei die Ausnahme gewesen.
„Wie kann es sein, dass wir als freie Träger im Auftrag des Landes so gut wie möglich einen Rechtsanspruch einlösen und dafür 20 Prozent der Kosten selber tragen sollen?“, fragt Thomas Emmrich, Geschäftsführer der Diakonie Pirna. Zwar gäbe es das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2003, dass Eigenmittel des Trägers von bis 20 % gefordert werden könnten. Aus dieser Kann-Formulierung habe aber der Freistaat Sachsen die Regel gemacht. Er geht bei seiner Berechnungsgrundlage grundsätzlich von 20 Prozent Eigenmitteleinsatz aus. „Das können wir als Träger aber nicht länger stemmen, denn wir haben kaum noch Möglichkeiten, Eigenmittel zu erwirtschaften.“ So blieben nur Spenden oder Mitgliedsbeiträge - diese sollten allerdings Arbeitsfeldern vorbehalten bleiben, die nichts mit der Einlösung von Rechtsansprüchen zu tun haben - wie etwa Nothilfefonds. „Soll das bislang noch wohnortnahe und flächendeckende Beratungsangebot erhalten bleiben, muss der Freistaat den Förderbetrag neu festsetzen. Angesichts stetig steigender Personal-und Sachkosten muss er von 55 000 auf 65 000 Euro pro Jahr und Vollzeitfachkraft steigen“, fordert Emmrich im Sinne aller freien Träger in der Liga. Noch besser wäre freilich das Thüringer Modell: Dort übernimmt der Freistaat 100 Prozent aller Personal- und 80 Prozent aller Sachkosten.
Über rechtliche Grundlagen, Aufgaben, Hintergründe und Finanzierungsbeispiele informiert Sie die anhängende pdf-Datei.
Weitere Informationen: Wilfried Jeutner, Fachbereichsvorsitzender Offene Soziale Arbeit der Liga der Freien Wohlfahrtspflege, Tel.: 0351/8315-131.